Die dreizehn Begabtenförderungswerke, welche durch das BMBF Stipendien vergeben, repräsentieren eine historisch gewachsene, heterogene Gruppe von Akteuren und Strömungen unserer Gesellschaft: Zu ihr zählen die parteinahen Stiftungen der sechs länger im Bundestag vertretenen Parteien (CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke) ebenso wie Vertreter wirtschaftsnaher und gewerkschaftlicher Interessen und die traditionsreiche Studienstiftung des Deutschen Volkes.

Weltanschauliche Begabtenförderung

Neben diesen Organisationen sind jedoch auch vier konfessionelle Träger berechtigt, Stipendien an herausragenden Studenten und Promovierende zu vergeben, wobei die religiös-weltanschauliche Identifikation mit den Werten des jeweiligen Trägers ein zentrales Auswahlkriterium darstellt: das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk, das Evangelische Studienwerk Villigst, das katholische Cusanuswerk sowie das im Jahr 2014 eröffnete Avicenna-Studienwerk für muslimische Studierende. Die Zuschüsse an die vier konfessionellen Begabtenförderungswerke beliefen sich laut BMBF im Haushaltsjahr 2013 auf insgesamt 27,5 Millionen Euro. Rund 3.000 Studierende und Promovierende wurden zu diesem Zeitpunkt durch die vier Werke gefördert (3). Ausgehend von einem gleichmäßigen Anteil der einzelnen Förderwerke am allgemeinen Wachstum des Stipendienbudgets ist dieser Wert im Jahr 2016 auf 33,7 Millionen Euro gestiegen. Alleine durch das Avicenna-Studienwerk werden gegenwärtig 345 Stipendiaten gefördert (4), das Cusanus-Werk konnte nur im Jahr 2016 384 Neuzugänge in der Förderung begrüßen (5). Das Studienwerk Villigst unterstützt 1.200 Studierende und rund 200 Promovierende (6). Selbst die mit 100 000 Anhängern außerordentlich kleine jüdische Gemeinde fördert mindestens 70 Personen (7).

Benachteiligung humanistischer Studierender

Die renommierte Shell-Jugendstudie (8) (2015) kommt zu dem Ergebnis, dass für Jugendliche „die Bedeutung des klassischen Glaubens zurückgegangen ist“ (S. 252), gleichsam ist eine „abnehmende religiöse Praxis unter Jugendlichen“ (S. 256) festzustellen. Aktuelle Daten des Sozio-Ökonomischen Panels zeigen, dass dieser Trend auch insbesondere unter Studenten zu beobachten ist: Demnach antworten mehr als 50% aller Studierenden auf die Frage, wie oft sie religiöse Veranstaltungen besuchen würden, mit „nie“. Gleichzeitig wollen junge Menschen das eigene Leben mit Werten bereichern. Dazu gehören gesellschaftliche Regeln, Engagement für die Umwelt, für sozial Schwache und das Gemeinwesen. Sie sind tolerant eingestellt, aber auch bereit, sich gegen Intoleranz zu wehren. Sie nähern sich den Traditionen wieder an. (S. 272)

Diese Studenten, die kein Bekenntnis zum christlichen, jüdischen oder islamischen Glauben teilen oder sich allerhöchstens noch kulturell mit ihrer Konfession identifizieren, ohne sich zu einer höheren Macht zu bekennen, sind in diesem Sinne deutlich erkennbar im Nachteil gegenüber religiös orientierten Jungakademikern: Geförderte erhalten bis zu 735 Euro und eine Studienkostenpauschale in Höhe von 300 Euro monatlich. Promovierende bekommen 1350 Euro im Monat. Zudem erhalten Stipendiaten die Möglichkeit, Auslandspraktika und Auslandssemester zu absolvieren, wofür Zuschüsse im fünfstelligen Bereich plus Flugkosten erstattet werden können.

Ebenso wichtig wie die finanzielle Förderung ist aber auch die ideelle Förderung durch die Förderwerke, etwa mit Veranstaltungen, Seminaren und Bildungsreisen. So entstehen für Menschen mit religiösem Bekenntnis Netzwerke, die weit über das Studium hinausreichen und auch in der Berufswelt wirksam sind. Nichtreligiöse und humanistisch eingestellte Studierende haben solche Chancen bislang nicht – obwohl Humanisten durch ihre Leistungen ebenso zum Etat des BMBF beitragen wie andere Bürgerinnen auch.

Insbesondere im Vergleich zu den kleineren Religionsgemeinschaften, also dem Judentum und dem Islam, welche im Gegensatz zu den beiden christlichen Konfessionen erst seit wenigen Jahren Teil des Begabtenförderungssystems sind, sprechen wir hier von einer alarmierenden Zahl benachteiligter Studierender: 2016 gehörten bereits knapp 30 Millionen Menschen in Deutschland keiner Religionsgemeinschaft an (9), Tendenz steigend. Selbstverständlich kann nicht jeder konfessionsloser Student direkt als Humanist betrachtet werden. Doch selbst wenn wir die Anzahl der Jugendweihlinge als konservative Grundlage zur Abschätzung heranziehen, erhalten wir unter zurückhaltenden Annahmen eine Menge von 276 000 humanistischen Studierenden.  

Humanisten im Vergleich mit anderen Weltanschaulichen Gruppen

Um dies in Relation zu setzen: 2015 waren wie erwähnt ca. 100 000 Bürger als Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Deutschland registriert, davon ca. 11 Prozent junge Menschen zwischen 18 und 29 Jahren (11). Selbst wenn wir davon ausgehen, dass mehr als 50% dieser Individuen ein Studium beginnen, sprechen wir von einer Kernzielgruppe von weniger als 6000 Studenten für das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk. Auch die Annahme dass sich diese Anzahl durch säkulare Juden, nichtjüdische Studenten der Judaistik und vergleichbarer Fächer, die potentiell für ein Stipendium in Frage kämen, verzehnfachen würde, wäre die Zahl humanistischer Studierender bei weitem nicht erreicht.

 Selbstverständlich steht es außer Frage, dass Deutschland auf Grund seiner besonderen historischen Verantwortung die Begabtenförderung jüdischer Studierender als wichtiges Anliegen betrachtet und sich der Größenvergleich zu anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften hier verbietet. Gleichzeitig leben jedoch ca. 4 Millionen Muslime in Deutschland (12), von diesen sind Daten des Sozio-Ökonomischen-Panels zufolge 2017 ca. 25% zwischen 18 und 29 Jahre alt gewesen. Auch unter Muslimen liegt der Anteil von Studierenden dabei nach Angaben des SOEP bei knapp unter 17%. Somit kommen wir auf ca. 170 000 muslimische Studenten. Dabei ist die muslimische Gemeinde in Deutschland hochgradig fragmentiert und zerstritten. Nur ein geringer Anteil der deutschen Muslime gehört dabei überhaupt einem Moscheeverein an, welche wiederum nur zu geringen Teilen in unterschiedlichen Dachverbänden zusammengeschlossen sind.